Design Thinking: Denkwerkzeug der Pedanten?


Theorem einer Kreativtechnik

Manchmal überkommen mich während des Designens gewisse Zweifel. Eine philosophische Frage stellt sich, welche viele Artgenossen kennen werden: Ist es überhaupt möglich, neues zu entwerfen oder hat es das alles schon mal gegeben? Das Kopfzerbrechen darüber, ob und wie wir möglichst unabhängig geistige Ideen erschaffen, wird in der Geschichte der Menschheit schon so manchen kreativen Geist gequält haben. Tatsächlich ist dies aber ein erst im ausgehenden 20. Jahrhundert wissenschaftlich betrachtetes Thema. Wie läuft ein kreativer Denkprozess ab, und welche Faktoren beeinflussen diesen im positiven oder negativen Sinne? Gibt es so etwas wie Design Thinking? 1965 etablierte der Britische Konstrukteur und Designer L. Bruce Archer den Begriff in „Systematic Method for Designers“, seiner Analyse des erfinderischen Denkens. Archer, der Design als akademische Lehre maßgeblich etablierte, bestimmte als einer der ersten die Strukturen und Sytematiken, nach denen das geistige Erschaffen abläuft. Vier Jahre später verfasste der Amerikanische Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Herbert Alexander Simon mit „The Sciences of the Artificial“ erstmals eine rationale Betrachtung der Entscheidungsfindung im Gestaltungswesen. Mit den Jahren entwickelte sich daraus eine theoretische „Anleitung“ für Kreative, den Designprozess zu optimieren, in dem einerseits vordefinierte Qualitätsstandards berücksichtigt, gleichzeitig aber gesellschaftlich oder von Modeströmungen beeinflusste Denkstrukturen bewusst verlassen werden („Thinking outside the Box„). Seit den 1980er Jahren gilt „Design Thinking“ – neben vielen anderen Kreativtechniken – als ein bedeutendes Kreativwerkzeug. Mit der Zeit fanden auch Aspekte wie Emotion, Ethik und Empathie inhaltlich Berücksichtigung. Heute werden diesbezüglich zusätzlich Themen wie Sexismus, Rassismus, soziale Gerechtigkeit und Verantwortung, zusammenfassbar als moralischer Rahmen der political correctness, mit einbezogen.

Wunderwaffe und Deus Ex Machina?

Seit einigen Jahren gibt es einen mitunter ziemlich skurril anmutenden Hype um Kreativtechniken. So lesen sich manche Artikel zum Thema wie eine Mischung aus Realsatire und bullshit. Im Online-Magazin „impulse“ konnte man sogar folgendes lesen:

Die Zauberformel, mit der Sie komplexe Probleme lösen.

N. Basel, impulse.de, 28.09.2017

Hört! Hört! Designer können also zaubern lernen. Vermutlich muss man nur einen der teuren Kurse besuchen, die überall angeboten werden. Nein, mit Magie hat das Designdenken rein gar nichts zu tun. Leider, mag man fast sagen, denn die übertriebene Theoretisierung des kreative Denkens mit ihren unüberschaubaren Kategorien und nervtötenden Anglizismen ist mittlerweise zum Gegenstück der liebevoll chaotischen, künsterischen Bohème geraten. Und Wunder darf man schon von Natur aus nicht erwarten. Wer Design Thinking zelebriert, kann keine plötzliche Geistesblitze erwarten, die das Problem in letzter Sekunde lösen. „Heureka! Ich habs gefunden!“ funktionierte auch ohne. Und mancher schwört trotz des Hypes weiterhin auf Koffein, Schlafentzug, faulende Äpfel (Friedrich Schiller) oder andere Substanzen (William S. Burroughs). Wider der Natur eines kreativen Geistes ist auch die zwanghafte Systematisierung von Denkprozessen. Nicht nur meinem Gefühl nach sind Dinge wie Strategie und Design, Methodik und Innovation sehr gegensätzliche Dinge. Außerdem muss bezweifelt werden, dass mittels der Systematik des Design Thinking jeder Bürokrat Controller zum freien Designer avanciert. Wohl kaum. Grau ist alle Theorie und das, was am Ende dabei herauskommt. Wenn Design plötzlich Methode haben soll, stimmt etwas nicht mit unserer Branche.

Indes: Design Thinking funktioniert!

Wirklich. Ein solches Kreativwerkzeug kann unter Umständen gut funktionieren. Es kann innerhalb eines naturgemäß weniger kreativen Umfeldes den Output brauchbarer Ideen steigern. Das an sich garantiert zwar keine guten Ideen, doch es erhöht die Chance, innovative Problemlösungen im Gros der Vorschläge zu entdecken. Weniger Sinn macht es dagegen, kreative Gestaltungsarbeiten (z.B. Gebrauchsgrafik) in ein methodistisches System zu zwängen. An den Schnittpunkten jedoch, wo Design und Praktikabilität aufeinandertreffen, kann Design Thinking hilfreich sein. Sitzen beispielsweise Programmierer, Kaufleute und Designer zusammen, um ein Produkt zu entwickeln, welches gleichzeitig zweckmäßig, ergonomisch, ökonomisch und stylish sein soll, so kann Design Thinking als abstrakter Weg, Problemlösungen in dieser sonst eher diametral denkenden Gruppe zu erarbeiten, ggf. in Kombination mit anderen Kreativwerkzeugen (insbesonders „6 Thinking Hats“ von Edward De Bono) ganz neue Denkwege eröffnen.

Es empfiehlt sich, solche Kreativmeetings durch einen erfahrenen Moderator begleiten zu lassen. Hierfür stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.


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Text: © Hans-Christian Wichert

Titelbild © fotolia.com | Datei: #175099339 | Urheber: small smiles

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