Erinnerungen an Typo Fröhlich VI


Vom Satzstudio zur Lithobude

Anfang der 1990er Jahre gab es bei den Dienstleistern im grafischen Gewerbe einen gewaltigen Umbruch. Viele Satzstudios und Reproanstalten mußten um ihre Existenz bangen. Was war passiert? Mit dem endgültigen Durchbruch erschwinglicher Hard- und Software für den Schriftsatz und die abschließende Druckformherstellung wurden die relevanten Arbeiten immer weiter in die Räume der Werbeagenturen verlegt – und das mit rasanter Geschwindigkeit. Noch 1992 erfolgte die Erstellung von Drucksachen vielerorts an speziellen Satzsystemen wie z.B. Berthold oder Linotype®. Doch bereits 1994 gab es deutliche Bestrebungen, diese inhouse fertigen zu lassen. Während meiner Ausbildung zum Schriftsetzer arbeitete bereits gut die Hälfte meiner Kolleginnen und Kollegen in Düsseldorfer Agenturen, die sich ein paar Macs angeschafft hatten, um Zeit und Geld zu sparen. Auszubildende waren billige Arbeitskräfte, die gerade für den Fresssatz „verheizt“ werden konnten. Dass dabei auf typografische Qualität verzichtet wurde, konnte man den damaligen Drucksachen leider anmerken. Korrektorate hatte man ebenso eingespart, was z.T. zu grotesken Fehlern, auch in renommierten Publikationen führte. Da dies den Kunden nicht verborgen blieb, bestanden viele darauf, dass anspruchsvolle Satzarbeiten auch weiterhin in etablierten Satzstudios zu erfolgen hatten. Viele dieser Betriebe konnten dadurch noch eine Weile überleben oder verdienten ihr täglich Brot mit Belichtungsjobs für die in den Agenturen verbrochenen erstellten Arbeiten, denn Laserbelichter waren damals teuer und viele Werbeagenturen scheuten die kostspielige Anschaffung. Mit der Umstellung auf computer-to-plate-Belichtungen wurde aber auch das obsolet – die letzten Satzstudios mussten aufgeben.

Bei Typo Fröhlich hatte man rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und entsprechend reagiert. Man integrierte die Lithographie (Scan – EBV – Proof – Druckfilmbelichtung) einfach in die Arbeitsabläufe. Von einem Tag auf den anderen wurde ein großer Raum im Ostflügel der Firma freigeräumt, um Platz für die neugeschaffene Lithographieabteilung zu schaffen. Die nikotingelben Wände wurden frisch geweißt, Neonröhren gegen Normlicht getauscht, Lamellenrollos angeschafft und alles voller Tische gestellt, auf denen die Scanvorlagen, Proofs und Andrucke genügend Platz finden würden. Ein nagelneuer Apple® Macintosh Quadra 950 mit (damals) atemberaubender Rechenleistung wurde geliefert sowie ein tischgroßer Flachbettscanner der Firma Scitex®. Auch in der Montage-Abteilung wurde umgeräumt: Sage und schreibe vier Möbelpacker schleppten gemeinsam ein analoges Proofsystem von DuPont die gewundene Terrazzo-Treppe hinauf. Typo Fröhlich konnte nun ab sofort High-End-Scans, Bildbearbeitung (EBV) und Proofing anbieten – es fehlte nur noch ein professioneller Lithograph.

Creo-Scitex EvEr smart: Die israelische Firma produzierte in den 90ern High-End-Flachbettscanner, deren Performance durchaus mit den damals üblichen Trommelscannern mithalten konnte. Um einen Eindruck der möglichen Kapazitäten und der Größenverhältnisse zu bekommen, beachte man die Anzahl der Scanvorlagen auf dem Scanner.


 
Dieser stellte sich uns einige Tage später als Klaus aus den Niederlanden vor, ein hochgewachsener Hamburger, der vor Urzeiten ins Nachbarland ausgewandert war und einen lustigen Mix aus Missingsch und Prinz-Claus-von-Amsberg-Akzent sprach. Auch optisch war er ein Kuriosum, denn er bevorzugte den Stil von Gordon Gekko, also City-Hemden zu dezent roten Krawatten oder Fliegen, dazu anthrazitfarbende Tuchhosen mit Hosenträgern. Seine fein gelockten Haare pomadisierte er mit allerlei Haarwässerchen nach hinten. Klaus war aber kein Blender, sondern ein sehr versierter und fleißiger Lithograph. Seine Bildbearbeitung überzeugte einige Agenturen und Verlage, insbesonders den Koch/Schwann-Verlag, deren CD-Coverbilder in großer Zahl bei Typo Fröhlich optimiert wurden. Die Herausgeber legten großen Wert auf Details und Farbwirkung. So sollten die auf den CD-Hüllen abgebildeten Gemälde im Offset-Druck der Inlays sehr farbtreu wiedergegeben werden, was angesichts der wechselnden Qualität der Diavorlagen sicherlich eine Herausforderung war.

CD-Cover von Koch/Schwann Records: die typischen Titelmotive mussten aufwendig bearbeitet werden, damit bei der Farbseparation und Rasterung für den Offset-Druck keine Zeichnung in den dunklen Bereichen verloren ging.


 

Typographie | Lithographie
Bis zu der oben genannten Ära waren im grafischen Gewerbe der Schriftsatz und die Lithographie zwei strikt voneinander getrennte Gewerke, die in aller Regel von (zwei) verschiedenen Firmen ausgeführt wurden. Grob gesehen, gab es „schwarz-weiße“ Betriebe (= Satzstudios) und „bunte“ Betriebe (= Lithoanstalten). Alles, was nicht mit Schriften, Linien oder Strichgrafiken zu tun hatte, war Aufgabe der Lithofirmen, die später auch das Scannen sowie die Farbseparation für die Druckfilmbelichtung übernahmen. Der Grund für diese Trennung der Aufgaben lag im Wesen der Lithographie selbst. Während sich der Schriftsatz kontinuierlich, von Bleilettern, über den Zeilen- und Fotosatz zu computergestützten Satzsystemen, entwickelt hatte, war seit der Erfindung des Steindrucks nur wenig passiert. Aus heutiger Sicht wirkt es seltsam anachronistisch, dass Bildvorlagen noch bis 1990 mittels Reprokamera und Rasterfolien separiert wurden. Darüber hinaus mussten diese Lithos in die vier (Cyan, Magenta, Yellow, Key) Druckfilme einmontiert werden. Mit den genannten Bestrebungen der Auftraggeber, alles inhouse, oder zumindestens mit nur einem externen Betrieb zu realisieren, wurden die „Lithobuden“ überflüssig. Für die Satzstudios mit ihrer Infrastruktur und ihrem typografischen know-how war es vergleichsweise einfach, Scan und Lithographie in die internen Abläufe zu integrieren. Reinen Lithoanstalten hingegen fehlten meistens sämtliche Voraussetzungen für die schriftsetzerischen Arbeiten und deren Ausgabe – als auch die finanziellen Mittel, um sich mit entsprechendem Inventar auszustatten.  
Was waren Lithoanstalten und „Lithobuden“?
Ein- oder mehrfarbige Bilder für den Druck aufzubereiten war Aufgabe der Lithoanstalten. Während der Zeit des Fotosatzes wurden Abbildungen mittels Reprokamera für den Offsetdruck aufgerastert und anschließend den Satzbetrieben zugeliefert, wo die sog. Lithos in die Satzspiegel einmontiert wurden. Für qualitativ hochwertige Druckerzeugnisse (z.B. Reproduktionen von Gemälden, Ausstellungskataloge etc.) wurden in den Lithoanstalten im Ätzverfahren sog. Klischees für den Tiefdruck produziert. Bei mehrfarbigen Vorlagen erfolgte eine Farbseparation – früher manuell, später per Computer – meistens für den 4-farbigen Offsetdruck. Damit sich die Offset-Drucker farblich orientieren konnten, verfügten viele Lithoanstalten über farbverbindliche Proofsysteme. Die dort erstellten Proofs wurden den gelieferten Farbauszügen beigelegt.

Der etwas flapsige Ausdruck „Lithobude“ beschreibt einen Klein(st)betrieb, der „nur“ über einen guten Scanner und ggf. einen Laserbelichter verfügte. Als sich das computergestützte Image Processing überall durchgesetzt hatte, gab es solche Firmen oft und überall, zum Teil auch sehr ländlich gelegen, z.B. in Scheunen oder ähnlich abenteuerlichen Orten. Scan- und Ausbelichtungs-Service waren Arbeiten, die man auf kleinstem Raum bewerkstelligen konnte. Es bedurfte lediglich einer relativ hohen Investition in die benötigten Gerätschaften. Als Scanner günstiger, und die Desktop-Varianten qualitativ besser wurden, verschwand dieser Nischenmarkt so schnell wie er gekommen war.

 

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Text: © H.C.Wichert
Titelbild: © AdobeStock | Datei: #106357336 | Urheber: Carola Vahldiek