Similaritäten
Er ist wieder mal ganz oben, in aller Munde, allen Augen und Ohren. Das australische Wunderkind des ästhetischen Pop-Movies, Spike Jonze, begeistert weltweit mit seinem neuen Werbefilm „Welcome Home“ für Apple’s HomePod. Die englische Sängerin Tahliah Debrett Barnett aka FKA Twigs spielt darin eine gestresste Angestellte, die Abends in ihre winzige Stadtwohnung zurückkehrt und mit Hilfe des KI-gesteuerten assistants von Apple dem deprimierenden Alltag durch Musik und Tanz entflieht. Dabei lösen sich Raum und Zeit auf, sie kann die Enge ihres Appartments spielerisch überwinden oder sogar mit ihrem eigenen Spiegelbild tanzen.
Seit ich The Gonz (Mark Gonzales) im Sommer 1992 zu Jazz Musik (!) in „Video Days“ (Blind Skateboards) durch die Straße shreddern sah, begeistert mich Spike Jonze stets aufs Neue. Unvergessen, wie er uns mit seinem Tanz im Video zu Fat Boy Slim’s „Praise You“ zum Lachen oder mit „Where the Wild Things Are“ zum Weinen brachte. Der scheinbar ewig junge Filmemacher überraschte immer wieder mit neuen konzeptionellen und visuellen Ideen (siehe „Being John Malkovic„). In seinem aktuellen Werbespot für Apple, lassen sich Teile der Wohnungseinrichtung wie Gummibänder dehnen, ein Vorgang, den man in Worten kaum beschreiben kann. Die an der Schnitt- oder Nulllinie bestehenden Pixel bzw. Farben werden mit der Bewegung zu Streifen gedehnt, während der herausgelöste Teil trotz seiner Beweglichkeit erhalten bleibt.
Jonze’s Werbefilme haben mich immer begeistert, beispielsweise seine rührige „IKEA Lamp“ oder Arbeiten für KENZO oder adidas. Doch diesesmal ließ mich der Spot nach dem ersten Anssehen seltsamerweise mit gemischten Gefühlen zurück. Das angekündigte „jaw-dropping“ und „eye-popping“ blieb jedenfalls aus. Warum? Nun – irgendwie kam mir das alles eigenartig bekannt vor.
Nach einigem Grübeln erinnerte ich mich zunächst an „Interstellar“ (2014). In dem epischen Science-Fiction-Film ließ Regisseur Christopher Nolan, wie Jonze bekannt für traumhafte Visualisierungen und surreale Wirklichkeiten (siehe „Inception„), den Protagonisten nach dem Eintritt in das Schwarze Loch „Gargantua“ in ein labyrinthhaftes, 4-dimensionales Abbild der Zeit stürzen. Dieser in sich verschlungene Tesseract erinnert visuell stark an die flexiblen Dimensionen der Wohnung im HomePod-Spot. Auch hier werden Gegenstände in einem Raum zu parallelen Linienstrukturen verzerrt.
Als ich mir den Werbespot erneut ansah und im Detail darauf achtete, wie einzelne Objekte in die Länge gestreckt wurden, musste ich jedoch an etwas ganz anderes denken. Das verzerrte Delfts Blauw der Couch (siehe 2. Screenshot oben) war dabei aussschlaggebend.
Ideen sind endlos und frei
Sebastian Brajkovic beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit der Idee einer visuellen distortion, die real und gegenständlich wird. Bei seinen Objekten, die u.a. im Victoria and Albert Museum (London) sowie im Museum of Arts and Design (New York) zu sehen waren, verzerren sich Formen, Perspektiven und Linien einzelner oder mehrerer antiker Möbelstücke, teilweise verschmelzen sie miteinander. Typisch für die Arbeiten des niederländischen Künstlers sind die streifenartig gedehnten Attribute der Objekte. Das Prinzip der langezogenen Muster gleicht den optischen Ideen in Spike Jonze’s Werbespot sehr.
In einer eMail-Korrespondenz mit mir zeigt sich Brajkovic wenig beunruhigt. Er fühle sich geehrt, dass man Jonze’s Visualisierung mit seiner Kunst in Verbindung bringe. Seines Ermessens nach sei er jedoch keinesfalls Urheber dieser Idee – ganz sicher hätte schon vor ihm jemand damit experimentiert. „Ich betrachte schöne Ideen als endlos, als Entitäten im kreativen Fluss der Gemeinschaft.“ schreibt er, „Wenn du eine gute Idee siehst, dann musst du danach greifen, sonst tut es jemand anderes. Ideen kann man nicht besitzen und vereinnahmen – sie sind für uns alle da.“ Brajkovic steht auf dem Standpunkt, dass sich Ideen zwar ähneln [können], die kreative und individuelle Umsetzung allerdings schützt sie vor dem Vorwurf des Plagiates.
Are you a good artist, you will make something unique with the idea. Are you a bad artist? You will copy something to make it look the same.
Sebastian Brajkovic (via eMail)
Im Zeitalter von Abmahnungen, Unterlassungserklärungen und Klagen halte ich Sebastian Brajkovic’s offene Haltung, fern von Missgunst und Nickeligkeiten, für herausragend, ja, erhabend. Es täte der Kreativbranche gut, wenn wir den Arbeiten anderer mit mehr Wohlwollen und Respekt begegnen würden. Spike Jonze und sein Team haben sich eventuell von bestehenden Ideen inspirieren lassen, ihre eigene Umsetzung im Werbefilm ist allerdings wunderbar vollzogen worden. Man betrachte hierbei nur die Kameraführung, die Choreographie, die Synchronisation von Musik und Bild oder die stimmungsvolle Beleuchtung. Darüberhinaus: Das gesamte Video ist ohne CGI-Effekte erschaffen worden.
Wie denken Sie über die Nichteinzigartigkeit der Ideen?
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Text: © Hans-Christian Wichert
Titelbild: © fotolia.com | Datei: #82205634 | Urheber: agsandrew
Lathe V by S. Brajkovic: © Blouin Artinfo
Lathe I by S. Brajkovic: © deavita.net
HomePod® ist ein geschütztes Warenzeichen der Apple Inc.