Erinnerungen an Typo Fröhlich III


Der geheimnisvolle Herr Z.

Anfang der 1990er Jahre wurde es plötzlich laut im Erdgeschoss. Unter Getöse und Gezimmer wurde die Dunkelkammer, in der bislang ein arbeitslos gewordener staromat gestanden hatte, abgerissen und renoviert. Dann wurde es unheimlich still. Die Tür ging auf und ein ganz in schwarz gekleideter Mann mit Bart und halblangen Haaren schwebte lautlos herein, um in das nun frisch geweißte Zimmer mit den hohen Decken einzuziehen. Er nutzte dort einen circa zwei Quadratkilometer großen Schreibtisch mit Stuhl und Telefon. Sonst war der Raum völlig leer. Der geheimnisvolle Mann wurde uns weder vorgestellt, noch sah er sich als Teil der Belegschaft, jedenfalls besuchte er uns nie im Obergeschoss. Die Herren im Korrektorat wussten bald mehr zu berichten: Bei dem ominösen Herrn Z. sollte es sich um einen Ehemaligen der sagenumwobenden GGK handeln! Jene Agentur, die weit über die Grenzen Düsseldorfs hinaus wegen ihrer intelligenten und z.T. kontroversen Ideen ein Begriff (gewesen) war. Jeder schwärmte von der IBM-Werbung, den Pfanni-Plakaten und natürlich von der langlaufenden Jägermeister-Kampagne. Damals, bevor Visim Vasata mit „seiner“ BBDO richtig durchstartete und Hamburg die Rolle der Werbehauptstadt Deutschlands übernahm, zählte die GGK neben DDB zu den wichtigsten Agenturen im Lande. Als kreativer (Quer)Kopf der GGK war Michael Schirner auch außerhalb der Werbebranche bekannt – wir Düsseldorfer „Handlanger“ jedoch verbanden die Agentur in der Immermannstraße weniger mit großen Namen als mit aufwendigen Jobs und brutalen Deadlines. Jeder altgediente Setzer hatte im Laufe der Photosatzzeiten irgendwann einmal irgendwie für „Schirners Irrenanstalt“ (O-Ton) arbeiten müssen. Im Grunde war es Ironie des Schicksals, dass Herr Z. ausgerechnet in das olle staromaten-Kabuff verfrachtet wurde, denn die GGK war für große Headlines berüchtigt (gewesen), die damals allesamt auf dem vorsintflutlichen Titelsatzgerät der Berthold AG gesetzt werden mussten.

Headlines im Photosatz
Schriftgrade wurden im Photosatzverfahren mit Hilfe von Zoom- bzw. Schärfelinsen und Abstandsvariablen vergrößert oder verkleinert. In Scheibenbelichtern bildeten verspiegelte Masken mit transparenten Typen (Lettern) die Vorlage für den gewünschten Schriftschnitt etc., d.h. der Belichter musste vor der Ausbelichtung mit allen im Dokument verwendeten Schriftarten/-schnitten „geladen“ werden. Die gewünschte Schriftgröße wurde durch ein automatisches Verstellen des Abstands zwischen Lichtquelle und Filmaterial erreicht. Dieses Verfahren hatte jedoch seine logischen Grenzen, da zum einen der Abstand konstruktionsbedingt nicht „endlos“ variabel war, und zum anderen, weil bei starken Vergrößerungen die Randschärfe der Buchstaben abnahm. Deshalb mussten Schriftgrade ab ca. 24 Punkt manuell auf einem Titelsatzgerät (z.B. staromat) „gesetzt“ werden. Der Skalierungsbereich war bei diesen Geräten durch den vertikalen Aufbau wesentlich größer – im Grunde handelt es sich dabei um einen klassischen Vergrößerungsapparat aus der Phototechnik, wobei sich vor der Linse eine Schiene für die Schriftvorlagen (ähnlich einer Linealschablone) befand. In der Dunkelkammer wurde nun Buchstabe für Buchstabe einzeln belichtet, bis die gewünschte Headline als Ganzes auf dem Film zusammengesetzt war. Logischerweise zeigte sich erst nach der Entwicklung, ob der Setzer fehlerfrei gearbeitet hatte. Für extrem große Schriftgrade wurde von den Filmen ein Papierabzug im Kontaktgerät gemacht, und dann per Reprokamera weiter hochvergrößert.  

Herr Z. kam nun jeden Tag zu unregelmäßigen Zeiten, und verschwand als schwarzer Schatten lautlos in seinem Büro. Die Zeit verbrachte er ausschließlich mit leisem Telefonieren und noch leiserem Lesen. Jeden Tag arbeitete er sich durch einen sorgsam angerichteten Stapel aus W&V, Horizont und Kontakter. Interessante Artikel wurden weder makiert noch ausgerissen. Herr Z. legte die Zeitungen vorsichtig nebeneinander auf den Nadelfilz seines Büros, die entsprechenden Seiten aufgeschlagen. Überhaupt gab es in dem Zimmer keine Notizen und nicht einmal Stifte, offenbar hatte Herr Z. alles im Kopf, inklusive sämtlicher Telefonnummern relevanter Agenturgrößen. Zwischendurch wurde flüsternd telefoniert oder hinter geschlossener Türe mit den Gebrüdern Fröhlich gesprochen. Von Ehrfurcht erfasst, traute man sich als junger Angestellter kaum zu stören. Man konnte froh sein, wenn K. Fröhlich Abrechnungen in seine Rechenmaschine hämmerte, so dass die quitschenden Schritte auf den polierten Solnhofer Platten im Erdgeschoss übertönt wurden.

Inzwischen hatte das Korrektorat mehr Informationen gesammelt. Herr Z. war nach dem Ende der GGK zunächst Berater bei Jöschli (Typographische Werkstatt Jöllenbeck & Schlieper, Essen) gewesen und schlussendlich nach deren Aufgabe aufgrund seiner guten Kontakte von uns angeworben worden. Außerdem hatte er just das Schwarzbuch der GGK herausgegeben, eine Art Rückschau mit allen wichtigen Mitarbeitern der Agentur und den mit ihnen assoziierten Schlagworten – wenn man so will ein analoges Facebook. Das Buch war in aller Munde, also kam es den zwei Brüdern ganz gelegen, dass man Herrn Z. mit ihrem Satzstudio in Verbindung brachte.

Das Buch nahm ich zum Anlass, mit Herrn Z. in Kontakt zu treten. Seine stille, behutsame Art sich wie in Zeitlupe zu bewegen, übte auf mich im täglichen Tohuwabohu der Firma eine gewisse Faszination aus. Angenehm war auch seine Art zu sprechen, sehr bedacht, leise und mit einem weichen Timbre. Er war, trotz seiner passiven Distanz zur Belegschaft, weder arrogant, noch abweisend, sondern offen für meine interessierten Fragen zur Agenturszene der 70er und 80er Jahre, sofern sich mir überhaupt ein Besuch in seinem Büro gestattete. Bald versorgte er mich mit den genannten Zeitschriften, die ich während der langen Bahnfahrt nach Hause verschlang. Für einen jungen Stift Spund wie mich fühlte es sich gut an, wenn man im Zugabteil einem gescheitelten Angestellten der WestLB gegenübersaß und nonchalant mit der W&V raschelte. Herr Z. war es auch, der mir nach Ende meiner Ausbildung zu einem Termin bei einer Agentur in der Maoam-Fabrik (Hildebrandtstraße) verhalf. Noch 1996 hatte ich telefonisch Kontakt zu ihm, bis er schließlich Typo Fröhlich verließ und zum Handelsblatt wechselte. Seit dem haben wir leider keinen Kontakt mehr. Ich wüsste gerne, was aus ihm geworden ist.


Wer ist Herr Z.?
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Text: © Hans-Christian Wichert

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