Personalmarketing in Zeiten des Pflegenotstands


Ländliches Krankenhaus mit Nachwuchssorgen

Landpartie. Kundenbesuch inmitten der niedersächsischen Prärie, nahe dem Mare Crisium. Flaschengrün und Siena die Kiefermonokulturen, die Heide zwischen den schrägen Stämmen blüht in Sprenkeln. Erinnerungen an Hermann Löns, den „zurecht verstorbenen Heimatdichter“ (Ulrich Roski), werden wach. Das Krankenhaus, ein kürzlich renovierter Altbau mit Sichtbeton- und Holzelementen, passt sich gut in das parkähnliche Gelände ein. Den Personaler treffe ich allerdings im Verwaltungsgebäude II, einer flachen Barracke aus der Zeit, als dieses Ensemble noch ein Sanatorium oder Schlimmeres war. Innen aber, empfangen mich helle Farben und geschmackvolle Bilder an den Wänden. Die Herbstsonne taucht den frisch modernisierten Besprechungsraum in fröhliches Licht. Alles sehr sympathisch. Hier wirkt jemand engagiert und mit Blick für die Details. Heute geht es um Personalfragen, also ist das sichtbare Arbeitsumfeld durchaus von Interesse.

Der Personalleiter zeigt nach draußen, wo zwischen Birken zwei Elstern balgen. Der in den Mails angedeutete Notstand will sich in dieser Idylle nicht offenbaren. „Unser Haus ist über die Kreisgrenzen hinaus bekannt. Wir haben gute, spezialisierte Ärzte, hohe fachliche Kompetenzen in verschiedenen Bereichen, deswegen behandeln wir zum Teil sogar Patienten aus dem Emsland.“ erläutert der ebenfalls anwesende Verwaltungsleiter. „Das Haus ist ambulant wie stationär bestens ausgelastet, die Fallzahlen sind sehr gut.“ Auf dem Tisch liegt der letzte Qualitätsbericht. Der Personalleiter tippt auf den Umschlag, „Wir könnten gut mehr Personal gebrauchen. Aber wir haben Nachwuchssorgen. Kaum einer will hier bleiben, die jungen Leute zieht’s erstmal in die Großstädte.“ Getan hätte man Vieles – leider ohne Erfolg. Und „ältere Pflegeräfte bewegen wir auch nicht hierhin“. Die blieben nahe ihrer Familie oder ihren Höfen. Die Ledigen und Kinderlosen dagegen würden lieber in der Stadt arbeiten, wofür sie irrsinnig lange Strecken zurücklegten. Dort, in der Fremde sozusagen, würden sie mit den Teamkolleginnen eine freundschaftliche, oft familiäre Gemeinschaft bilden, aus der sie nach jahrelanger Teamarbeit kaum mehr herauszulösen sind, so der Personaler. Sein Fazit: Man ist personell am Limit, manchmal mehr, manchmal weniger. „Wenn sich in der Inneren noch zwei Schwestern krankmelden haben wir praktisch Pflegenotstand. Dann müssen zwei aus der Gyn hoch“, dächte man dann an schlechten Tagen.

Ja, mir sind solche Probleme aus mehreren ländlich gelegenen Häusern bekannt. Obwohl das Wort „Pflegenotstand“ aus nachvollziehbaren Gründen niemals laut ausgesprochen wird. Kein Patient darf das jemals hören. Es klingt auch in meinen Ohren sehr drastisch, viel zu panisch. Doch aus Sicht der Pflegekräfte, die aufgrund chronischer Unterbesetzung ständig Überstunden anhäufen und zwischen Abteilungen springen müssen, beschreibt das barsche Wort nur die bittere Realität. Real ist auch die Gefahr für das Krankenhaus, die von dieser frustrierenden Situation ausgehen kann, selbst wenn sie nur temporär ist. Dauerstress beim Pflegepersonal frisst sich in den Arbeitsalltag ein und führt zu unzufriedenen Patienten und Vorgesetzten. Wird das Problem nicht angegangen, können ganze Abteilungen an Leistungsfähigkeit und Reputation einbüßen. Darüberhinaus steigt die Zahl der Krankmeldungen, wodurch sich die Situation noch weiter verschärft.

Ich stelle den beiden Herren viele Detailfragen und notiere die ehrlichen Antworten. Dass man Vieles versucht hat, stelle ich hingegen nicht in Frage. Man hat eben nicht genug versucht. Und da ist noch einiges an Spielraum, denn mehr und mehr kristallisiert sich heraus: es gibt Wege im Personalmarketing, die hier noch gar nicht, oder nur halbherzig ausprobiert wurden. Ich bin weder Headhunter noch Zauberkünstler. Wunder kann das „Heidekrankenhaus“ von mir also nicht erwarten. Stattdessen gebe ich Hausaufgaben auf. Mutige Ziele müssen in der Spitze diskutiert und akzeptiert werden, allen voran ein langfristiges Personalkonzept, welches sich dann auch gezielt bewerben ließe. Davon sollen nun alle Verantwortlichen überzeugt werden. Ich bin gespannt. Sie auch?


Gerne berate ich Sie im Detail.
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Text: © Hans-Christian Wichert