Spende, damit ich lebe!


Tour d’Horizon:

Das berühmte Geschäft mit der Angst gilt noch immer als großes no-go, auch in der Werbung. Gemeint sind in diesem Zusammenhang Aussagen oder suggestive Methoden, die un/bewusste Ängste der Empfänger triggern, um den Konsum zielgerichtet anzukurbeln. Der logische Schluss, bzw. Trugschluss, auf den dieses Vorgehen abzielt ist eine Art moderner Ablasshandel: der Konsument glaubt, durch den Erwerb eines Produktes, respektive die Inanspruchnahme einer Dienstleistung, sein Gewissen erleichtern, oder gar Ängste loswerden zu können. Die Kritik, dass dem oft nicht so ist, bleibt allerdings Verbraucherschützern und natürlich den Konsumenten selbst überlassen, ebenso wie die Frage, ob Konsum überhaupt je glücklich machen könnte, der Betrachtung durch Philosophen, Soziologen und anderen Forschern obliegt. Wir Werber indes, verurteilen – traditionell – die Methodik an sich als manipulatives Mittel, das auf primitive Weise versucht, psychologisch Einfluss auf den Mensch zu nehmen, und damit eine bedenkliche Nähe zur politischen Propaganda, welche kaum moralischen Grenzen kennt, aufweist. Das ist ehrbar, denn mit emotionalen Taschenspielertricks und effekthascherischer Marktschreierei wollen wir ja nichts zu tun haben. Vielmehr soll Werbung neben ästhetischen und informellen Kriterien auch die einer gewissen „Intelligentheit“ erfüllen – jedenfalls schreiben sich das die meisten Agenturen mit unsichtbarer Tinte auf ihre Fahnen. Inwieweit solche Ziele in der Praxis auch erreicht werden, vermag ich nicht zu sagen. Darüber sollen diejenigen urteilen, die sich bei jedem TV-Abend von Tampon- oder Waschmittelwerbung berieseln lassen.

In unsere tägliche Realität schleichen sich trotz moralischer Bedenken bedenkliche Werbestrategien ein, die hier kurz näher betrachtet werden sollen. Das ist neben der fortschreitenden und offenbar gesellschaftlich inzwischen völlig kritiklos akzeptierten Werbung, die sich mehr oder weniger direkt an Kinder richtet, besonders die kleine Schwester vom Geschäft mit der Angstdas Spiel mit dem Gewissen.

Werbung „für“ Kinder

Eigentlich sollte sich Werbung nicht direkt an Kinder und Jugendliche – als unreife Minderjährige – richten, da diese in ihrer Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit nicht in der Lage sind, die dadurch angeregten Konsumwünsche, bzw. Kaufbeschlüsse angemessen zu beurteilen. Selbstverständlich sind deshalb direkte Kaufaufforderungen rechtlich untersagt. Dies hindert die Industrie allerdings nicht, über (für Erwachsene) ziemlich durchschaubare Umwege, beispielsweise durch Product Placement, Werbefilme auf YouTube®, Musikvideos, kostenlose Videospiele, ausgestreutes Merchandising oder reale Maskottchen in Einkaufszentren, ihre Werbebotschaften gezielt an die minderjährige Zielgruppe zu senden. Die Schamlosigkeit, mit der Kinder (inkl. Kleinkinder) durch gesponserte TV-Formate u.ä. adressiert und nachhaltig für den Konsum konditioniert werden, ist erschreckend, jedoch nicht ohne Grund: Potentiell verfügen Kinder in Deutschland über fast 6 Milliarden Euro (Quelle: Kids-Studie, Egmont Ehapa Verlag 2006). Außerdem hat die Industrie richtig erkannt, wie wichtig die frühe Prägung von Markenbewusstsein bei den „Kunden von Morgen“ ist. Inzwischen geht es allerdings längst nicht mehr, wie in meiner Kindheit, darum, wer mit Pelikan® oder Geha® schreibt, respektive wer Adidas® oder Puma® trägt – Ziel ist heute, den innersten Wunsch nach einem goldenen Mont Blanc® und Turnschuhen von Gucci® zu wecken – um bei diesen Beispielen zu bleiben.

Das manipulative Einwirken auf die Unmündigen ist vielen Jugendschützern und Konsumkritikern zu recht ein Dorn im Auge. In unserer modernen Medienlandschaft sind die von diesen wiederholt geforderten Verbote allerdings kaum realisierbar, zumal solche Einschränkungen in den grundkapitalistischen Gesellschaften der Industrieländer ideologisch schwer durchsetzbar wären. Zielführender ist die elterliche Selbstverpflichtung, den Kindern mehr Medienkompetenz zu vermitteln, und damit auch das kritische Bewusstsein für Werbung und ihre Wirkung. Kinderschutzverbände regen außerdem die Einführung eines Schulfaches ein, in dem der richtige Umgang mit den Medien gelehrt wird.

Link-Tipp: Kinder-Medien-Studie 2018
Zum zweiten Mal präsentieren die sechs Verlagshäuser Blue Ocean Entertainment AG, Egmont Ehapa Media GmbH, Gruner + Jahr, Panini Verlags GmbH, der SPIEGEL-Verlag und der ZEIT Verlag mit der Kinder-Medien-Studie (KMS) gemeinsam die Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung, die detaillierte Einblicke in die Medienwelt und Lebensrealität der 7,29 Millionen vier- bis 13-jährigen Kinder in Deutschland bietet. Die Studienergebnisse können hier (PDF-Download möglich) eingesehen werden.

Spendenwerbung

Weihnachten steht vor der Tür und damit auch die unzähigen Spendensammler, die überall an unser Mitleid appellieren. Dem Feilschen um Spenden ist kaum zu entkommen, denn längst steckt dahinter eine straff durchorganisierte Spendenindustrie, die alle Wege der Ansprache professionell für ihre Zwecke nutzt. Die von Behinderten liebevoll gemalten Weihnachtskarten liegen in unseren Briefkästen, von Plakatwänden schauen uns große Kinderaugen flehend an, im TV wandert eine hübsche blonde Frau im Safari-Look durch eine Gruppe ausgehungerter, nackter Kinder im Sudan, um hier und da einem davon über den Kopf zu streicheln, und der junge Mann fragt mich am Supermarkt-Entree rhetorisch „Mögen Sie Tiere?“. Wie soll man da widerstehen? Es dient doch alles dem Guten! Doch der gute Zweck sollte niemals die oft fragwürdigen Mittel heiligen. Viele Spendenkampagnen nutzen bewusst das schlechte Gewissen aus, welches unsere Wohlstandsgesellschaft beim Anblick ärmerer Weltenbürger befällt – grundsätzlich nichts anstößiges – allerdings wird das Leid anderer hierbei für den monetären Wettbewerb der Hilfsorganisationen untereinander instrumentalisiert. So furchtbar die Wahrheit auch klingen mag: Wer das traurigste Schicksal zeigt, der nimmt am meisten Spenden ein. Diese simple Formel führt dazu, dass regelmäßig gegen ethische Regeln in der Werbung verstoßen wird, so zum Beispiel bei ressentimentbehafteten Darstellungen der Entwicklungsländer. „Hilfe für Afrika“ – allein dieser Slogan ignoriert, dass der Kontinent von verschiedenartigsten Ethnien in über 50 Ländern bewohnt wird. Die pauschalisierende, immer gleiche Visualisierung des „Armenhaus Afrika“ unterstellt allen Bewohnern eine latente Unfähigkeit sich selbst zu versorgen, ihre Kinder ausbilden und ernähren zu können. Nur wenige Afrikaner müssen das in der Spendenwerbung einheitlich gezeichnete Leben – nackt, ausgehungert, in Strohhütten hausend – durchleiden. Diesen, meistens vor Dürren oder Bürgerkriegen fliehenden Menschen muss zweifellos geholfen werden – dies jedoch in gezielten Projekten, wie sie seriöse Hilfsorganisationen betreiben und auch sachlich bewerben. Nicht statthaft ist hingegen der pauschal herabblickende Chauvinismus, der immer noch viele Spendenkampagnen durchzieht: das hungernde Kind, welches bettelnd zur Kamera aufblickt, ist nach wie vor das „beliebteste“ Motiv, obwohl diese Darstellung impliziert, dass den Kindern nur der „reiche Weiße“ helfen kann.

Grundlagen: Recht & Unrecht

Neben einem gutgemeinten Ehrenkodex der Werbebranche gibt es natürlich konkrete Verbote. Bestimmte Dinge dürfen nicht gesagt oder geschrieben werden, sonst droht das Kampagnenaus. So dumm ist aber kein Werber, es sei denn er verirrt sich unbeabsichtigt im Dickicht unübersichtlicher EU-Bestimmungen, z.B. gewisse Pflichthinweise betreffend („Zu Risiken und Nebenwirkungen …“). Die meisten Verstöße gegen den Kodex sind allerdings kaum justiziabel, besonders wenn es um politische Korrektheit geht, womit in letzter Zeit meistens die Vermeidung von Sexismus gemeint ist. Wirbt aber doch irgendein lokaler Heizungbauer mit „Rohr verlegen“-Slogans und blanken Brüsten, ruft das den Deutschen Werberat auf den Plan, der dann eine Rüge erteilt. Praktischerweise bietet dieser ein Onlineformular zum Melden von Werbeverstößen an. Vermutlich ist es dann der andere Heizungsbauer im Ort, der seinem Mitbewerber einen reinwürgen will. Man weiß es nicht. Wirklich interessieren tut das ohnehin niemand, denn die Konsequenzen sind überschaubar – vorausgesetzt es handelt sich nicht um grobe Verstöße gegen geltende Gesetze (z.B. Herabwürdigung, Rassismus). Große Unternehmen, die sich auf das glatte Eis provokanter Werbung wagen, juckt die moralische Bewertung durch den Werberat kaum. Vermutlich sind international agierende Konzerne ganz andere, landestypische Maßregelungen gewöhnt. Sie brechen erst dann ein, wenn ein sogenannter shitstorm sie heimsucht. Leider ist diese grunddemokratische, jedoch gefährlich scharfe Waffe der Konsumenten in letzter Zeit oft missbraucht worden, um den Diskurs von einer argumentativen Ebene auf ein emotionales Niveau herunter zu zerren, bei dem Hysterie und Gekreische jede sachliche Debatte unmöglich machen. Darüberhinaus sind solche viralen Interventionen kaum mehr steuerbar, sobald ihre Ausbreitung im Internet begonnen hat. Wenngleich in solchen Fällen eine Werbekampagne von einer gesellschaftlichen Mehrheit kritisiert bzw. letztendlich „gekippt“ werden kann, so muss dieses Kundeninstrument trotzdem mit Skepsis betrachtet werden, da die Kritik im Moment eher einer zeitgeistigen Sichtweise, manchmal auch einer politischen Agenda, folgt. Die Grenzen zwischen ggf. berechtigten Einsprüchen bei unglücklichen Kampagnen (z.B. JvM’s Unicef-Motive), und eher subjektivem Missempfinden, u.a. bei angeblich latent chauvinistischen Werbeaussagen, sind fließend. Neben eindeutig schlechter Werbung, die offensichtlich nicht nur den Guten Geschmack verletzt, werden außerdem Motive öffentlich bemängelt, die nur aus einer individuellen, ideologisch geprägten Perspektive problematisch sind. So werden/wurden Kampagnen der DFV und CMA („Die Milch machts“) regelmäßig von Tierrechtlern mit aggressiven Beiträgen in den Sozialen Medien angegangen, ohne dass sie die Mehrheit der deutschen Verbraucher als anstößig empfindet.


 

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Text: © Hans-Christian Wichert

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