Please, shoot the messenger!


Facebook: Keine guten Nachrichten

Der Tag, an dem mein Vertrauen in Facebook zu schwinden begann, habe ich gut in Erinnerung: Im April 2014 beendete der Konzern die Möglichkeit, Nachrichten (Messages) über die Facebook-App zu empfangen und zu senden. Smartphone-User mussten von nun an eine separate App nutzen – den Facebook Messenger. Empfangene Nachrichten wurden zwar nach wie vor in der Ursprungsapp angezeigt, lesen konnte man diese jedoch nur noch mit dem Messenger. Dieser Verkomplizierung, die undurchschaubare konzernstrategische Gründe hatte, verweigerte ich mich konsequent. Absurd ist, dass ich fortan für diese Art der Kommunikation trotzdem eine zusätzliche Plattform (Whatsapp) nutzen musste, die zudem ebenfalls der Facebook-Familie angehört. Selbstverständlich gab und gibt es Alternativen, doch man nutzt eben das, was die meisten Verwandten, Freunde und Kunden verwenden.

Um so ärgerlicher ist es, wenn man dieser Tage beim Öffnen von Facebook den Erhalt einer Nachricht (rotes Symbol oben rechts) angezeigt bekommt, beispielsweise die eines fernlebenden Bekannten, dessen Telefonnummer man nicht hat und von dem man nur selten etwas hört. Die Versuchung, für das Lesen der Nachricht doch „mal eben“ den Messenger zu installieren ist groß. Noch größer ist allerdings der Frust derer, die das dann wirklich machen. Die Tage meldete mir Facebook den Erhalt einer (Achtung – Spoiler: vermeindliche) Nachricht eines schwedischen Verwandten. Wie es Zufall wollte, war ich kurz vorher geschäftlich in Stockholm gewesen und sah einen möglichen Zusammenhang. Meine joviale Entscheidung, den Messenger aus dem iStore herunterzuladen bereute ich direkt nach der Installation.

„Wollen Sie Benachrichtigungen auf Ihr Telefon erhalten?“ Nein, wollte ich nicht, denn als Werber bin ich mit den (zukünftigen) Möglichkeiten, Benachrichtigungen für Werbezwecke zu nutzen, bestens vertraut. Hatte Facebook’s COO Sheryl Sandberg nicht unlängst verkündet, man arbeite daran, Sponsored-Messages und Inbox-Ads direkt per SMS an die User schicken zu wollen? Mit meinem vielleicht nachvollziehbaren NEIN gab sich Facebook jedoch nicht so schnell zufrieden: Sage und schreibe 8x, also in acht Schritten, sollte ich mittels hinterlistig trickreich konzipierten Pop-Ups zum JA bewegt werden. Mal ist das NEIN links, mal rechts, und manchmal heißt es suggestiv NICHT JETZT oder NOCH NICHT womit mir wohl klar gemacht werden sollte, mein JA wäre nur eine Frage der Zeit. Endlich im Messenger angekommen, stellte sich – wie oben bereits angedeutet – heraus, dass nicht mein Verwandter mir geschrieben hatte, sondern Facebook. Mein schwedischer Cousin hätte „gerade“ dies und das auf Facebook gemacht oder getan. Aha. Whatever! Absolut nicht das, was ich erwartet hatte.

Mit solch penetranten Versuchen, treue User zu noch mehr Datensharing zu nötigen bewegen, tut sich Facebook wahrlich keinen Gefallen. Als würden die andauernden Umstellungen und Anpassungen des Algorithmus die Benutzerfreundlichkeit des Interface nicht schon genug einschränken – die Gier nach Daten mutet angesichts der vergangenden Skandale, Hacks, massive Datenleaks und „Kooperationen“ mit Cambridge Analytica geradezu grotesk an. Längst steht Facebook vor der allgemeinen Vertrauensfrage. Die Popularität des Hashtags #deletefacebook belegt dies drastisch. Und Hiobsbotschaften über die Verbreitung von sog. Fake News tun ihr übriges.

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Sarkastische Interpretation der Thematik: „New Religion 2.0“ des britischen Street-Art-Künstlers imbue
Polyresin/Colour, Brighton/Kent 2017

 

Facebook: Licht und Schatten

An dieser Stelle prophezeie ich – auch ohne Animositäten: Bald wird es Facebook nicht mehr geben. Jedenfalls nicht in der heutigen Größe und Form. Schon jetzt hat Facebook in Deutschland/Europa massiv an Gesamtnutzern eingebüsst. Besonders drastisch sind diese Verluste bei jüngeren Usern (U25), die sich im Moment eher an Instagram (und Snapchat) orientieren. In Deutschland nutzen gerade mal 15% der Jugendlichen noch Facebook. Für die jüngsten Internetnutzer ist die Plattform lediglich ein „Netzwerk für Helikoptereltern und alte Schul- und Brieffreunde“ oder Lehrer.

Zwar bleiben die meisten Benutzer trotzdem im Wirkungsbereich des Zuckerberg’schen Universums, da Instagram und das vielgenutzte Whatsapp ebenfalls zu Facebook Inc. gehören, für uns Werbeagenturen brechen mit dem Verlust jüngerer User wichtige Zielgruppen weg, welche wir bislang via Facebook sehr differenziert und vorallem mit der Möglichkeit interaktiver, sich viral verbreitender Werbung versorgen konnten. In naher Zukunft muss sich zeigen, ob Facebook auch das Vertrauen der älteren Benutzer erhalten bzw. zurückgewinnen kann und ob eine eventuelle „Schlankheitskur“ unter Verzicht auf unnötige Features (z.B. Messenger, s.o.) der Benutzerfreundlichkeit im Sinne einer bestmöglichen „Barrierefreiheit“ nutzen könnte.


 

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Kommentar: © Hans-Christian Wichert
Titelbild: © Hans-Christian Wichert
Facebook, Instagram u. Whatsapp sind eingetragene Warenzeichen der Facebook Inc.