Das Ministerium für Schönheit (minischön)
Deutschland müsse besser aussehen, fordert Ulf Poschardt in der Welt und er meint es ernst. Unter der von mir mit Wohlwollen erblickten Überschrift „Wir brauchen einen Staatsminister für Schönheit“ führt er das fort, was der Schinkel-Preisträger Rainer Haubrich bereits zwei Wochen zuvor angemahnt hatte: Schluss mit der Kistenarchitektur! Deutschland braucht dringend Wohnraum, in den Städten und davor. Bezahlbar muss er sein. Sozial. Integrativ. Denn neben den ärmeren Bürgern, die durch fortschreitende Gentrifizierung aus den Innenstädten verdrängt werden, brauchen vor allem fremdsprachige Immigranten die in großen Umfang neu zu schaffenden Wohnkomplexe. Diese müssen nicht nur quantitativ, qualitativ und funktionell Maßstäbe setzen – auch von konzeptioneller Schönheit sollten sie sein, sonst drohe, so Haubrich, „die dritte Zerstörung unserer Städte“.
In der Tat ist die Richtigkeit eines ästhetischen Ansatzes in der Stadtplanung inzwischen durch Forschungen gut belegt: ein friedvolles Zusammenleben wird durch ein positives Stadtbild mit viel Grün, viel Licht, schöner Architektur und umfangreichen Freizeitmöglichkeiten gefördert. Die Kasernisierung der sozial Schwachen in der Anonymität seelenloser Hochhäuser dagegen, war schon immer ein Garant für den gesellschaftlichen Abstieg der Bewohner im Zuge vorprogrammierter Ghettoisierung. Ja, die zweite „Zerstörung“ – oder milder ausgedrückt: Verschandelung – deutscher Städte durch wüste Betonsilos während der 1960er und 1970er Jahre sollte uns ein mahnendes Beispiel fehlgeschlagener Experimente im sozialen Wohnungsbau sein. Darüberhinaus gilt es, sich auf die wenigen Architekturprojekte zu konzentrieren, die bis heute als relativ erfolgreich gelten, so zum Beispiel die Finnstädte A – F (1975, Toivo Korhonen und Lauri Sorainen, Helsinki) in der „Neuen Stadt Wulfen“. Auch wenn in dem am Reißbrett entworfenen Stadtteil Barkenberg ansonsten vieles scheiterte (z.B. die heute legendäre Metastadt), hat sich das Grundkonzept einer autofreien Besiedlung mit barriere- und ampelfrei passierbaren Ringstraßen bewährt. Mustergültig ist auch die erfolgreiche Verzahnung von sozialem Wohnraum mit Wohneigentum. Jung und Alt leben hier miteinander, multinational und standesübergreifend. Ein weiteres positives Beispiel findet sich im benachbarten Österreich, wo die unglaublichen Türme des Wiener „Wohnpark Alterlaa“ (1973 – 1985, Harry Glück, Wien) die generelle Wohntauglichkeit von Hochhäusern bewiesen haben. Trotz der gewaltigen Ausmaße dieser wortwörtlichen Trabantenstadt gibt es kaum Leerstand, so gut wie keine Kriminalität, dafür aber eine sehr hohe Anwohnerzufriedenheit.
Wie, fragt sich da so mancher Planer, kann das sein? Die Antwort darauf ist komplex und vielschichtig. Einige Aspekte liegen allerdings auf der Hand: Erstens zeigen sowohl das Wiener wie das Wulfener Beispiel eine Betonung natürlicher Schönheit. Durch die Integration von Bepflanzungen in der Architektur wird der deprimierende Anti-Charme üblicher Betonkomplexe abgemildert. Die große Flächen zwischen den Gebäuden sind grün und unbebaut. Dort, wo bei anderen Projekten Parkplätze oder Straßen zu finden sind, wird der Raum für soziale Einrichtungen genutzt. Zweitens wurde deutlich investiert – nicht nur in planerisches Know-How, auch in die Bausubstanz. Dies ist ein wunder Punkt für Rainer Haubrich, dem es vor den optisch wie qualitativ billigen Lösungen graust, welche angesichts öffentlicher Ausschreibungsmanie drohen. Aus seiner Sicht, stellen wir den sozial Schwächeren heute zwar ein Maximum an Gewissenhaftigkeit zur Verfügung – helle prefab-Wohnungen, in sachlicher Strenge wie Excel-Tabellen angeordnet, aus recyclebaren Stoffen für eine beispielhafte Energieeffiziens erbaut, mit 2 qm Rasenstück und Kugelrobinie plus Glasfaserinternet, doch glücklich macht dies alleine niemanden. Was nützt es den gesellschaftlich Abgehängten, wenn rechts, links, oben und unten die nächsten 20 Nachbarn das gleiche Schicksal teilen? Und wer meint, dies beträfe nur die Armen Deutschlands, möge einen nüchternen Blick auf die neuen Luxusviertel in Berlin, München oder Düsseldorf werfen. Weiß verputzte Kästen mit Akzenten in RAL 7016. Soweit das Auge reicht falsch verstandenes „Bauhaus“. Nur die Satellitenschüsseln fehlen in diesen harschen Ghettos des Wohlstands.
Die richtigen Zutaten für den Melting Pot
Einer der dringlichsten Aspekte ist die heterogene Mischung der Bewohner, bezogen auf Richtwerte wie Einkommen, Herkunft, Bildung oder Religion, also die Schaffung eines individuell von jeder einzelnen Stadt zu definierenden Verteilungsschlüssels, der sozial schwache Ballungsräume verhindert. Beendet werden muss die Unsitte, Häuser wie Kornspeicher mit Wohnberechtigungsscheininhabern aufzufüllen. Viel sinnvoller wäre es, im voraus Gentrifizierungsprozesse zu stoppen, gegebenenfalls durch extrem lokal definierte Mietbremsen (per casa) und Wohnraumgarantien. Parallel dazu müssen neue Siedlungen geschaffen werden, die infrastrukturell ausreichend autark sind, so dass es die Bewohner nicht mittelfristig zurück in die Innenstädte zieht. Mit diesen Grundvoraussetzungen wird es möglich sein, die Schönheit in unsere Wohnlandschaften zurückkehren zu lassen, denn diese ist keinesfalls auf das architektonische Äußere beschränkt. Oder wie es Ulf Poschardt richtig ausdrückt „Deutschland muss besser aussehen. Nahezu alle Bereiche politischer Gestaltung könnten profitieren, wenn man diese Forderung umsetzte.“
Postskriptum: Angenommen, es gäbe dieses „Ministerium für Schönheit“ in Wirklichkeit, wie sähe es dann wohl aus? In welchem Gebäude wäre es untergebracht?
Haben Sie dazu Ideen? Vorschläge? Gedanken?
Schreiben Sie mir → ✉
Text: © Hans-Christian Wichert
Titelbild: © Hans-Christian Wichert – „Duisburg Hochheide“, 2007