Die Urheberrechtsnovelle


The end of the internet as we know it?

Es ist soweit. Mal wieder? Das Ende des World Wide Webs, wie wir es kennen, steht vor der Tür, und die EU schickt sich an, es reinzulassen. Das jedenfalls behaupten einige viele User vom aktuellen Beschluss des EU-Parlaments zur Erweiterung der Urheberrechtsgesetze. Was aber macht die Kritiker der Entscheidung eigentlich so wütend? Speziell zwei Artikel des mit 438 Ja-Stimmen (bei 226 Gegenstimmen und 39 Enthaltungen) vom Parlament akzeptierten Gesetzentwurfes stehen im Fokus der Debatte:

[Artikel 11] Die Verpflichtung großer Internetkonzerne, z.B. google oder YouTube, Entgelte für die kommerzielle (Aus-)Nutzung geschützter Inhalte zu zahlen.

[Artikel 13] Die Verpflichtung großer Internetkonzerne, insbesonders Social-Media-Plattformen, bereits den Upload von Content auf Urheberrechte zu prüfen und ggf. zu verhindern.

Bezogen auf die beiden erstgenannten Beispiele würde dies konkret bedeuten: Plattformen wie GoogleNews dürfen automatisch ausgelesene Artikelinhalte nur dann anzeigen, wenn der Urheber (Zeitung/Verlag) dafür eine Vergütung erhält. Die betroffenen Verleger argumentieren dazu, dass Konzerne wie Google durch das Abbilden ihrer Artikel in den Suchergebnissen eigene Clicks generieren und darüber hinaus Nutzerprofile erstellen. Mit beiden Vorgängen würden bedeutende Umsätze/Gewinne erzielt. An diesen wollen die Verlagshäuser etc. beteiligt werden. YouTube, auf der anderen Seite, verdiene durch Werbeeinblendungen an allen hochgeladenen Musikstücken und Videos/Filmen. Während in Deutschland die Vergütung von urheberrechtlich geschützter Musik nach jahrelangem Streit der GEMA und YouTube inzwischen klar(er) geregelt ist, wollen die Musikverlage nun eine EU-weite Regelung nach deutschem Vorbild, und die Filmindustrie drängt auf ähnliche Lösungen.
Gegenüber der erst im Juli in der Parlamentsabstimmung zurückgewiesenen Gesetzesvorlage, sind nun „kleine“ Internetportale/-websites und private User explizit von der Regelung ausgenommen. Auch die durch Artikel 13 vorgeschriebenen Internetfilter sollen nur für die „großen“ Tech-Firmen (z.B. Facebook, Instagram, Twitter, YouTube etc.) gelten. Der Begriff selbst – „Filter“ – wurde aus dem Text gestrichen, obgleich der Artikel nichts anderes als solche fordert, nämlich Content-Filter. Eine besondere Ausnahmeregelung soll für Wikipedia gelten, da es in der Natur einer Enzyklopädie liegt, regelmäßig auf Quellen zu verweisen. Außerdem erkennt der Gesetzentwurf an, dass viele Einträge der Plattform durch Beispielmedien illustriert werden müssen.

Die Befürworter

Neben den großen Verlagshäusern und Filmproduktions-/Filmverleihkonzernen haben sich auch prominente Kultur- und Medienschaffende für die Urheberrechtsreform stark gemacht, beispielsweise über 160 Regisseure am Rande des Filmfestivals in Venedig, unter ihnen Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta. Der Nahost-Korrespondent Sammy Ketz (AFP) sammelte mehr als 200 Redakteure und Reporter um sich, die einen entsprechenden Aufruf („Eine Frage von Leben und Tod“) an das Europaparlament unterzeichneten. In der politischen Dimension wird der Gesetzentwurf – ursprünglich eine Idee von Günther Oettinger (CDU, ehemaliger Digital-Kommisar der EU) – von Axel Voss (CDU, Parlamentarischer Berichterstatter der EU), als auch von der Grünen-Abgeordneten Helga Trüpel, öffentlich vertreten. Das Abstimmungsergebnis der deutschen EU-Parlamentarier zeigt allerdings: nur innerhalb der CDU/CSU-Fraktion herrscht Einigkeit bei dem Thema.

Die Gegner

Dass die Tech-Giganten aus den USA nicht daran interessiert sind, ihre bisherigen Geschäftsmodelle zu Gunsten einer neuen Copyright-Regelung in Europa aufzugeben, überrascht niemanden. Mit dem „erbitterten“ Widerstand einer breiten Front von Internetnutzern, Prominenten inklusive Tim Berners-Lee, dem „Gründer“ des WWW, sowie einer Vielzahl von Rechteinhabern – hat man in Brüssel weniger gerechnet. Netzaktivisten aus allen europäischen Ländern haben sich zusammengeschlossen, um die „Freiheit des Internets“ zu erhalten. 60.000 Unterschriften haben sie dem Parlament überreicht. HipHop-Artist Wyclef Jean (Fugees) hielt sogar eine flammende Rede in Brüssel. Wie seine Mitstreiter, unterstützt der Musiker das Konzept eines freiheitlichen Internets, das in seiner erst jungen Geschichte bereits eine Vielzahl von Netzkulturen hervorgebracht hat. Diese international verzweigten Kulturen reichen vom lustigen Internetphänomen des Memes bis hin zu ursprünglich unauthorisierten Remixen von Songs, die später erfolgreich verlegt wurden. Ohne Zweifel basieren viele Mikrokulturen im Netz auf Sampling, womit nicht nur die Wiederverwertung von Musikschnipseln gemeint ist. Vielmehr werden auch aus Texten, Bildern oder Filmen neue Kunstwerke geschaffen. Darüber, dass diese Form von kulturellem Recycling nicht völlig unreguliert sein darf und den Rechteinhabern zumindestens eine Copyright-Erwähnung, wenn nicht sogar ein legitimer Obolus, zusteht, ist man sich auch unter den Gegnern der Urheberrechtsreform einig. Im Sinne der Gleichberechtigung aber, muss der Zugriff auf die Kulturgüter der unmittelbaren Vergangenheit möglichst unreguliert und für jeden Weltbürger erschwinglich sein. Es nützt wenig, wenn durch die Gesetzesnovelle nur große Konzerne in die Pflicht genommen würden – Leidtragene wären am Ende die Nutzer. Ihnen würden Beiträge entweder durch Filterung oder durch zu hohe Erwerbskosten vorenthalten werden. Erstgenannte Filtermaßnahmen sind bei den Internetaktivisten besonders umstritten. Sie befürchten eine Art Vorzensur, bei der schon das Hochladen von Daten ins Internet kontrolliert wird. Die für diese Überwachung nötigen Programme müssten gigantische Datenmengen (Beispiel: bei YouTube werden pro Minute ca. 450 Stunden Material hochgeladen) durchleuchten, was eine Detailprüfung durch Mitarbeiter/innen unmöglich macht. Man befürchtet deshalb hohe Verluste beim Content-Upload, den die automatischen Filterprogramme bei undeutlicher Rechtslage (ungeklärte Copyrights) sicherheitshalber direkt unterbinden könnten. Generell macht vielen Gegnern die Vorstellung einer solchen, unter dem Vorwand des Urheberrechtsschutzes installierten, Filter-Infrastruktur Angst. Ihrer Meinung nach sind Zitate von/aus geschützten Werken zumindestens bis zu einem bestimmten Grad auch Bestandteil des europäischen Rechts auf freie Meinungsäußerung. Diese Freiheit juristisch und mit Hilfe von Filtersystemen einschränken zu wollen, sei undemokratisch, so die Kritiker. Dies zeige sich auch in der Tatsache, dass die Ausgestaltung der Filterkriterien den Firmen überlassen würde. In einer Demokratie aber, hätten Gerichte über Urheberrechtsverletzungen zu entscheiden, nicht Unternehmen.

Die heutige Entscheidung ist ein herber Rückschlag für das freie Internet. Das Europaparlament befürwortet die Einführung neuer rechtlicher und technischer Schranken für die Meinungsfreiheit im Netz. Zugunsten von Konzernprofiten werden Prinzipien über den Haufen geworfen, ohne die das Internet nie seine heutige Bedeutung erlangt hätte.

Julia Reda, Piratenpartei/Fraktion Die Grünen im EU-Parlament

Die Presse

Die Nachricht über die Entscheidung des EU-Parlaments wurde von einigen Rechteinhabern mit Freude aufgenommen. „Ein guter Tag“ schreibt zum Beispiel Michael Hanfeld, der verantwortliche Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“ bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser hatte im Vorfeld die Diskussion nach dem Motto „Es geht um Alles oder Nichts“ kräftig angeheizt, als er die US-amerikanischen Tech-Giganten mit Trump verglich und ihnen EU-Feindlichkeit unterstellte. Sachlich und detailliert setzte sich dagegen Thomas Kirchner von der Süddeutschen Zeitung mit dem bevorstehenden „Schicksalstag fürs Internet“ auseinander. Dass die Zeitung das Abstimmungsergebnis am Folgetag mit „Abnicken“ umschrieb, zeugt eventuell von der heimlichen Überzeugung, die verantwortlichen EU-Politiker hätten das Thema nicht kritisch genug behandelt. Das eher liberale Blatt Die Zeit lässt hauseigene Kritiker, übrigens sehr vorbildlich im Sinne des freien Journalismus, zu Wort kommen: Lisa Hegemann ging unter der sarkastischen (wenngleich nicht ganz wahrheitsgemäßen) Headline „Diese Überschrift dürfen Sie künftig nicht mehr zitieren“ mit der anstehenden Entscheidung hart ins Gericht. „Die freie Verbreitung von Informationen ist in Gefahr“, so ihr Fazit. „Ab heute geht es um die Zukunft des Netzes“ kommentierte Patrick Beuth in seinem neutralen Artikel auf Spiegel Online – wachsam, ohne jedoch ein abschließendes Urteil zu fällen. Der Freitag ist da deutlicher: „RIP Internet“ schreibt Nikolas Becker, Freiwilliger der Wikipedia-Bewegung. „Eine Mitmach-Gesellschaft ist in deinem Land leider nicht verfügbar“ heißt es dort unter einem Bild mit verzweifelt dreinblickendem YouTube-Emoticon.

Ausblick

Seit Jahren ringen die zuständigen Gremien der EU um eine wirksame Modernisierung des Urheberrechts, um dieses an die Gegebenheiten des Internets anzupassen. Dieser Schritt ist überfällig, erfolgt jedoch viel zu spät. Längst haben die globalen Internetkonzerne Fakten geschaffen und die liberalen Strukturen des Netzes für sich genutzt. Jetzt darauf mit konservativen, wenn nicht sogar reaktionären Plänen zu reagieren ist falsch. Der ohnehin sehr schwerfällige Dialog (z.B. zwischen YouTube und der GEMA) braucht viel zu lange, um Klarheit für alle Beteiligten zu schaffen. Darüberhinaus entstehen durch die schwammigen Formulierungen der Gesetzestexte – trotz erfolgter Überarbeitung – bedeutende Detailfragen. Dies verängstigt besonders kleinere kommerzielle Anbieter im Internet als auch private Nutzer. Beide wünschen sich Rechtssicherheit.

Wie ein Schildbürgerstreich mutet das Vorhaben aus deutscher Sicht an. Das seit einigen Jahren hierzulande geltende Leistungsschutzrecht regelt bereits die in Artikel 11 genannten Pflichten. Dies allerdings ohne jeglichen Erfolg, da das neue Gesetz – eindeutig mit Duldung der Urheberrechtsinhaber – weitläufig ignoriert wird. Warum nun versucht wird, dieses stillschweigend zu Grabe getragene Projekt als „Zombie“ auf EU-Ebene wiederzubeleben – man weiß es nicht.

Seit fünf Jahren gibt es in Deutschland das Leistungsschutzrecht. Eigentlich hat es nie funktioniert – doch die Bundesregierung will das bis heute nicht zugeben, wie ihre Antwort auf eine Anfrage der Grünen zeigt. Trotz allem könnte das umstrittene Gesetz bald auf EU-Ebene eingeführt werden.

Alexander Fanta, netzpolitik.org

Am Beispiel der Urheberrechtsnovellierung zeigt sich beeindruckend, wie schwer zwischen den zwei parallel existierenden Universen von realer Gegenwart und virtuellem Internet zu vermitteln ist. Leider wird auch deutlich: Die europäische Medienlandschaft besteht noch immer aus althergebrachten Geschäftsmodellen und man versucht diese durch fragwürdige Maßnahmen zu konservieren. Auf der anderen Seite blicken wir in das tiefe Tal des Silicon Valley, von dem aus sich die Tech-Giants anschicken, die Welt zu erobern. Nun stehen sich diese zwei „Streitmächte“, in der Moderne besser bekannt als Lobbyisten, in Brüssel gegenüber. Beide Seiten benutzen für ihren Kampf um die Zukunft Argumente, die für den Laien zwar logisch klingen, aber beileibe nicht immer ganz koscher sind. Da wäre zum Beispiel das ewige Narrativ vom „rechtsfreien Raum Internet“. In Wirklichkeit gelten im Netz die selben Gesetze wie im realen Leben: Copyrightverstöße stehen jeden Tag im juristischen Fokus und werden regelmäßig geahndet. Ebenfalls nicht ganz berechtigt ist die immer wieder erklingende Empörung darüber, dass US-Konzerne das Internet praktisch plündern würden. So schreibt der VÖZ-Vorsitzende Gerald Grünberger zum Beispiel: „Die europäische Contentwirtschaft ist schließlich kein Selbstbedienungsladen für US-Konzerne. In einem global gewordenen, digitalen Markt braucht es faire Rahmenbedingungen, damit wir den zukünftigen Fortbestand einer funktionierenden Medienlandschaft sowie der Beschäftigungsverhältnisse sicherstellen„. Dabei verschweigt er freilich die gewaltigen Umsätze, die Firmen wie Google ihnen durch Verlinkung in den Suchergebnissen beschert. Überhaupt ist die Behauptung, Urheberrechte würden kaum abgegolten, nicht haltbar. Über drei Milliarden US-Dollar hat Google in den letzen drei Jahren an Musikkonzerne für das YouTube-Angebot von geschützten Werken bezahlt. Davon wurden allein zwei Milliarden US-Dollar durch das konzerneigene Prüfsystem Content ID generiert. Dass beispielsweise im Jahre 2015 über dieses Prüfsystem 558 Millionen Webinhalte/-sites aufgrund von Copyrighthinweisen überprüft, und 98% daraufhin entfernt wurden, beweist andererseits, welche weitreichenden Filtermechanismen bereits aktiv eingesetzt werden. Die Freiheit des Internets ist dadurch ganz offensichtlich nicht verstorben.


Braucht das Internet mehr Regeln?
Schreiben Sie mir →


 

Text: © Hans-Christian Wichert

Titelbild: © fotolia.com | Datei: #136301011 | Urheber: ananaline