they did surgery on a grape


yes, they did.

Im Jahre 2017 wurde auf dem Online-Video-Channel Cheddar ein Kurzfilm gepostet, in dem feingliederige Roboterarme mit äußerster Präzision eine Weintraube sezierten, bzw. ein Teil der Fruchthülle entfernten und anschließend wieder annähten. Dieses von Max Godnick produzierte Video verbreitete sich viral um die ganze Welt, allerdings weniger auf Grund der technischen Faszination für eine solch minimal-invasive Operationsmethode, sondern wegen Godnicks Headline zu Beginn des Films: „They did surgery on a grape“. Diese lakonische Bemerkung entwickelte sich schnell zu einem Meme, das bis heute in vielfältigster Form zitiert und geteilt wird. Die Phrase selbst gilt heute als bestes Beispiel für unnützes Internetwissen. Abgesehen vom nerdigen Humor, mit dem der Satz unter dem Hashtag #tdsoag in immer neue, abstruse Zusammenhänge gebracht wird, fällt es (mir) schwer, exakt – insbesonders in deutscher Sprache – zu beschreiben, was genau daran so lustig ist. Zum einen ist es die absurde Tatsache, dass Mediziner/Wissenschaftler Zeit darauf verschwenden, mit einer für die onkologische Chirurgie entwickelten Methode etwas derartig Banales zu operieren. Zum anderen distanziert sich der Publisher selbst latent schmunzelnd von dem gezeigten Tun, was die internet-typische Floskel „doing“ (surgery) verrät. Trotzdem ist die Popularität des Videos, abseits der humoresken Nerdigkeit, auch durch seinen beeindruckenden Inhalt begründet, erinnert er uns doch alle daran, wie weit es mit der Automatisierung bereits gediegen ist. Wenn Roboter in der Lage sind, medizinisch ausreichend präzise Schnitte auszuführen, werden sie erst recht in der Lage sein, einfachere Arbeiten zu erledigen. Vielleicht soll der Humor, mit dem wir diesem Filmbeitrag begegnen, auch ein bisschen von der Erkenntnis ablenken, dass der arbeitende Mensch immer obsoleter wird. Ein nervöses Lachen gegen die Angst?

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Automatisierung in der Medizin?

Die gute Nachricht zuerst: Noch ist es nicht soweit. So zeigt das o.g. Video zwar einen beeindruckend präzisen „Eingriff“ mittels Robotik, allerdings handelt es sich um eine Demonstration des Assistenzroboters Da-Vinci™ Surgical System der US-amerikanischen Intuitive Surgical Inc., also ein Operationssystem, bei dem Roboterarme die Hände des Operateurs ersetzen. Die vier mechanischen Arme werden jedoch live von einem Chirurgen im OP ferngesteuert und arbeiten keinesfalls eigenständig, beispielsweise mittels AI (künstlicher Intelligenz) oder entsprechend selbst-denkender Programme. Das Robotiksystem wurde bereits in 2000 durch die FDA für den Einsatz im OP freigegeben. Heute wird es international, vorallem für minimal-invasive Operationen in der Urologie eingesetzt. So werden in den USA z.B. über 70 Prozent aller Prostata-OPs mit dem System durchgeführt. Die Vorteile liegen besonders bei mikroskopischen Eingriffen auf der Hand: Roboterhände zittern nie und arbeiten im Mikrometer-Bereich fehlerfrei, ohne „Ausrutscher“. Ablenkungen, Konzentrationsverlust oder etwaige physische Erschöpfungen des Operateurs, vorallem natürlich Ermüdung bei langwierigen Operationen oder langen Dienstzeiten, werden ausgeglichen. Von einem intelligenten, fehlerfreien Roboter, der selbstständig Entscheidungen trifft, der während des Eingriffs den Fortschritt analysiert und mögliche Komplikationen erkennt, darauf reagiert bzw. diese sogar voraussieht, ist das System allerdings noch weit entfernt. Es ist nur so gut wie der Operateur, der die Roboterarme steuert, und damit nicht vor möglichen Fehlern gefeit. Mit echter Automatisierung hat Da-Vinci™ also nur im Ansatz zu tun.

Im Moment wird international mit Nachdruck auf dem Gebiet der medizinischen Robotik geforscht. Kurzfristiges Ziel ist die Entwicklung von unterstützenden Systemen, die die Mediziner entlasten, in dem sie mit reproduzierbarer Präzision und Qualität Teilschritte einer Operation oder einer therapeutischen Maßnahme programmgesteuert durchführen. Die Aufgaben erscheinen dabei zunächst simpel, beispielsweise bei einem Haltearm für Ultraschallsensoren, mit dem während einer Schlüsselloch-OP eine immer gleiche Position auf dem Körper zwecks Kontrollaufnahme angesteuert werden muss. Ein Roboterarm kann dies ohne Ermüdungserscheinungen mit absoluter Zielgenauigkeit erledigen, jedoch muss das steuernde Programm perfekt navigieren, anatomische Gegebenheiten erkennen und im Falle von Komplikationen/Notfällen ggf. zurückweichen. Hier liegt das Hauptproblem der Entwickler, denn ein selbstlernendes Computersystem kann nur in der Praxis, d.h. unter echten OP-Bedingungen wirklich dazulernen. Da dies aufgrund der Risiken nicht möglich ist, muss das Programm mit Unmengen von vorhandenen Daten gefüttert werden, die größtenteils nicht in ausreichender Detailliertheit vorhanden, oder aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zugänglich sind.

Im Bereich der nicht-invasiven Aufgaben ist man jedoch bereits so weit, Maschinen selbstständig arbeiten zu lassen, sobald sie für den Patienten inviduell „eingerichtet“ worden sind. So hat KUKA Medical Robotics beispielsweise Systeme für die radio-onkologische Therapie entwickelt. Der vorab mit Hilfe von Patientendaten programmierte Roboterarm richtet die Bestrahlungseinheit mikrometergenau aus und führt sie während des Therapieverlaufes um den Zielpunkt (Tumor) herum, wodurch dieser von allen Seiten in verschiedenen Tiefen bestrahlt werden kann. Das System des Augsburger Robotikspezialisten arbeitet selbstständig, wird jedoch während der Bestrahlung laufend von einem zertifizierten Mitarbeiter überwacht. Andere KUKA-Systeme nehmen sich der Lagerung der Patienten im Sinne einer exakten Positionierung, z.B. während des Röntgens oder bei laufenden DVT/CT/CRT-Aufnahmen, an. Auch hier wird ein computergesteuerter Roboterarm verwendet, der genügend groß dimensioniert ist, um eine Liegevorrichtung mitsamt Patient sicher zu bewegen. Für all diese Lösung gilt allerdings ebenso, dass sie zwar durch intelligente Programme gesteuert werden, die therapeutischen bzw. diagnostischen Entscheidungen obliegen jedoch nach wie vor ausschließlich einem Mediziner (Strahlentherapeut/Radiologe).

Mittel- und langfristig möchte man im therapeutischen wie pflegerischen Bereich, gleichförmige, sich bis zu einem gewissen Grad wiederholende Arbeiten durch autarke Robotik durchführen lassen. Die denkbaren Einsatzmöglichkeiten reichen dabei von einfachen, chirurgischen Eingriffen (z.B. Kauterisation in der Dermatologie) über Blutentnahmen, Stanzbiopsie (für Schnellschnitte) bis hin zur automatischen Umbettung bettlägeriger Patienten gegen Dekubitus. Auch die Betreuung von Demenzpatienten durch intelligente audio-visuelle Systeme wäre denkbar, dabei gehen die Planungen soweit, dass humanoide Robotern den Demenzkranken 24 Stunden am Tag Gesellschaft leisten. Gerade solche Ideen zeigen aber, dass wir uns aktuell an einem Scheideweg befinden, an dem wir alle beschließen müssen, in wessen Hände wir uns (und die unserigen) bei der medizinischen Versorgung zukünftig begeben wollen. Die heutige Technik ist bereits so weit, viele der genannten Aufgaben zu erledigen – theoretisch sogar besser als ein Mensch – es bleibt aber die ethische Diskussion zu führen, wie weit der Mensch Entscheidungen zur Gesundheit den Maschinen überlassen will. In der Gegenwart erleben wir eine Übergangsphase mit ungewissem Ausgang: Die Weiterentwicklung der Robotik stockt durch den Mangel an aktiven Einsätzen der Programme in der Praxis. Einem selbstlernenden Computersystem, das ohne jegliche OP-Erfahrung, nur auf Basis von anatomischen Daten und Lehrbuchinhalten eine Herztransplantation durchführen könnte, traut zu recht niemand über den Weg. Ebenso bereitet es uns Unbehagen, einen Demenzkranken mit einem in Eigenregie (re)agierenden Roboter alleine zu lassen. Diese Problematiken zu lösen, wird keine leichte Aufgabe sein und sollte – bei aller Begeisterung für die technischen Möglichkeiten und allen Versuchungen der möglichen Einsparungen durch Automatisierung zum Trotz – mit Bedacht angegangen werden.

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Ein Wort zur Empathie

Für mich als Werber ist das Thema durchaus relevant. Insbesonders da sich scape intensiv mit den Entwicklungen im Bereich der Telemedizin, AI in der Medizin und der entsprechenden Robotik befasst. In meiner Praxis habe ich bereits Konzepte für Kunden entworfen, die Robotik im chirurgischen Bereich einsetzen. Diese Kunden waren – zu recht – stolz auf ihre Investition und die dadurch ermöglichten Vorteile. Sie wollten die hochtechnisierte Medizin intensiv bewerben, ohne dabei in Betracht zu ziehen, dass „Roboter in der Medizin“ auf viele Patienten befremdlich wirken könnten. So weit es geht, habe ich versucht, die kundenseitig gelieferten Informationen – bei aller gebotenen Sachlichkeit – empathischer, menschlicher klingen zu lassen. Wir sind eben noch nicht soweit. Niemand möchte sich von einem Roboter operieren lassen.


 

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Text: © Hans-Christian Wichert
Titelbild: © AdobeStock | #49692376 | Urheber: Oksancia
Komposition, Vektoren Operationsbesteck: © H.C.Wichert
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