Telemedizin: Gedanken zur Fernbehandlung per Internet [3]


Krise und Chance

Sofern man überhaupt gewillt ist, der gegenwärtigen Corona-Epidemie etwas Positives abzugewinnen, so könnte dies die Einsicht sein, dass wir Deutschen prinzipiell für eine Digitalisierung medizinischer Konsultationen bereit sind. Im Rahmen der Infektionsvermeidung konnten kurzfristig diverse althergebrachte Hürden übersprungen werden – beispielsweise bei der vereinfachten Rezeptausstellung ohne physische Vorlage der Gesundheitskarte, oder bei der (zeitbegrenzt zulässigen) telefonischen Krankschreibung. Beide Maßnahmen minimieren Infektionsrisiken beim Arztbesuch und entlasten die Praxen deutlich. Weitere Pluspunkte, mit denen Bund und Länder ihre Flexibilität eindrucksvoll belegen konnten, war die kurzfristige Einrichtung länderübergreifender Infektionsdatenbanken, welche wiederum auch internationalen Pandemie-Datenbanken dienen, sowie die schnelle Realisierung der Corona-Warn-App. Die kostenlose, seit Mitte Juni 2020 downloadbare COVID-19-App der Bundesregierung soll den Nutzern helfen, Kontakte mit Infizierten zu vermeiden (Warnfunktion), als auch den Behörden dabei, Infektionsketten zurückzuverfolgen (epidemiologische Funktion). Allgemein hat die forcierte Bündelung und Kommunikation verfügbarer Daten für eine lobenswerte Transparenz gesorgt: Jeden Tag informieren die Medien nun in übersichtlicher Weise, z.B. mittels digitaler Grafiken und interaktiven Karten über Infektionszahlen, Hotspots oder Risikogebiete.

Die Wünsche und Erwartungen der Bürger gehen jedoch über das bisher Erreichte hinaus. Arbeitgeber als auch Schulbehörden haben mit ihrer zügig umgesetzten Digitalisierung bzw. Dezentralisierung eindrucksvoll bewiesen, dass in Deutschland eine zeitgemäße Modernisierung von Arbeits-/Schulalltag realisierbar ist, wenngleich es bei der technischen Infrastruktur, insbesonders beim Breitbandausbau, noch grundlegender Verbesserungen bedarf. Doch auch wenn die Arbeit im Homeoffice bzw. der Unterricht via eLearning noch einige technische Hürden nehmen mussten – das Gros der deutschen Arbeitnehmer*innen und Schüler*innen zeigte sich offen für diesen wichtigen Schritt in eine digitalisierte Zukunft. Menschen, die diesen Umbruch aktiv oder als Zeitzeugen positiv erlebt haben, erwarten ähnliche Änderungen auch im Gesundheitssystem.

Akzeptanz für eHealth steigt

Laut einer online-repräsentativen Studie, die das Marktforschungsinstitut Dynata im Auftrag von jameda, Deutschlands größtem Arzt-Patienten-Portal, unter 1.025 Patienten durchgeführt hat, ist die Nachfrage nach, wie auch die Nutzung von telemedizinischen Diensten, z.B. in Form einer Videosprechstunde, durch die Corona-Krise deutlich gestiegen: „Jeder zweite Befragte gab an, dass er aufgrund der Corona-Pandemie momentan Arztbesuche vor Ort vermeidet. Vor der Corona-Pandemie hat jeder Fünfte die Videosprechstunde als nützlich angesehen. Im Juli 2020 gab jeder dritte Befragte an, durch die Corona-Pandemie einen stärkeren Nutzen in Videosprechstunden zu erkennen. Jeder Fünfte (19 %) hat bisher eine Videosprechstunde in Anspruch genommen (ggü. 10 % bei einer vergleichbaren Studie in 2019). 82 % dieser Patienten würden die Videosprechstunde auch künftig wieder in Anspruch nehmen. 58 % der Befragten, die noch keine Videosprechstunde besucht haben, geben an, dass sie gerne die Möglichkeit nutzen würden, einen Arzt per Videosprechstunde zu kontaktieren. Jeder zweite Patient ist der Ansicht, dass die Corona-Pandemie die Verbreitung der Videosprechstunden beschleunigen wird. Bei den 55- bis 66-Jährigen sind 50 % der Ansicht, dass die Videosprechstunde gerade in Zeiten der Corona-Pandemie eine große Verbesserung der Gesundheitsversorgung darstellt. Jeder Dritte (28 %) gab an, sich eher für einen Arzt zu entscheiden, wenn dieser den Service einer Videosprechstunde anbietet.“ [Quelle: jameda] Telemedizin ist also keinesfalls ein augenblicklicher Trend, sondern sie wird sich dauerhaft als Kommunikationsform zwischen Patient und Arzt etablieren.

Möglichkeiten zur Entlastung

Grundsätzlich stellt die Telemedizin eine wichtige Schnittstelle zwischen der analogen Erfassung medizinischer Daten und dem digitalen Verarbeiten dieser da. Beides, für sich genommen, hat im deutschen Gesundheitswesen bereits ein sehr hohes Qualitätsniveau erreicht: Gut ausgebildete, auf internationalem Top-Level agierende Mediziner diagnostizieren und behandeln Patienten in ihren (Fach)Praxen oder Kliniken. Die durchgeführten Leistungen werden jedoch erst seit relativ kurzer Zeit digital erfasst. Noch immer arbeiten viele Ärzte mit Terminzetteln, Karteikarten, Anamnesebögen, Anästhesieformularen, Behandlungsplänen und so weiter. Selbst vor einem Routineeingriff erhalten die Patienten einen Stapel Papier, welcher im Zeitalter digitaler Kommunikation eigentlich obsolet sein sollte. Durch eHealth könnten hierbei viele bürokratische Schritte entfallen – etwas, das in der Abrechnungspraxis seit Einführung von DRGs und Kodierungen bereits gut funktioniert. Ebenso entfallen könnten vermeidbare Praxisbesuche, besonders jene die lediglich der Übergabe eines Folgerezeptes, einer Verschreibung oder der nachträglichen Abgabe der Gesundheitskarte zum Quartalsanfang dienen. Diese Dinge ließen sich ohne Probleme auch kontaktlos, auf digitalem Wege realisieren. Zur Zeit (2020) sind mit Einschränkungen Krankschreibungen per Telefon-/Videosprechstunde gestattet. Über die Corona-Pandemie hinaus sollten diese Möglichkeiten jedoch als langfristig gültige Alternative zum Praxisbesuch etabliert werden.

Die denkbar weitreichenden Möglichkeiten und Vorteile, die eHealth und Remote Medical Care (RMC) bieten, haben wir nachfolgend in zwei Grafiken zusammengefasst:

Möglichkeiten von eHealth/RMC


Im Moment kann die Telemedizin aus vielen praktischen, insbesonders technischen Gründen, nicht mit den etablierten Methoden für Diagnostik und Behandlung konkurrieren, da es keinen physischen Kontakt zwischen Patient und Arzt gibt. Somit sind selbst simple Diagnosemethoden, wie beispielsweise das Abtasten des Abdomen, Fühlen von Schwellungen, Beugen von Gelenken oder das Abhören der Bronchien nicht möglich. In einer Videosprechstunde beschränken sich die Möglichkeiten des Arztes auf eine äußere Betrachtung (per Webcam) sowie auf die Schilderungen des Patienten, dennoch kann eHealth zumindestens bei den alltäglichen „Volkskrankheiten“ (z.B. Erkältung, Magen- und Darmprobleme, leichte Schmerzsymptome etc.) durchaus eine sinnvolle Alternative zum klassischen Hausarztbesuches sein. Aufgrund der zur Zeit verfügbaren bzw. noch nicht verfügbaren Techniken, sollte der Fokus eher auf der Vereinfachung diverser Abläufe liegen, die im Zusammenhang mit einer in der Praxis zu stellenden Diagnose, einer laufenden Behandlung oder einer Überweisung erforderlich sind. Die hierbei anfallenden Formulare, Arztbriefe, Patientendaten müssen vom Patienten selbst digital verwaltet werden können.

Vorteile von eHealth/RMC


Der schon jetzt nutzbare Vorteil – wenn es eine flächendeckend verfügbare, qualitativ genormte Telemedizin geben würde – liegt in der Digitalisierung und Dezentralisierung der Daten. Diese Entbürokratisierung schafft Transparenz, spart Zeit und Kosten. Ein wichtiges Argument für eHealth ist die erweiterte Verfügbarkeit – ein virtueller Arztbesuch ist theoretisch von überall aus möglich – besonders im Sinne der Barrierefreiheit. Menschen mit Behinderungen würden durch die digitale Kommunikation deutlich entlastet werden.

Aufgaben für die Zukunft

Telemedizin/eHealth/Remote Medical Care ist/sind nicht nur in diesen besonderen Zeiten eine wichtige und sichere Ergänzung zum herkömmlichen Medizinalltag in Arztpraxen, Kliniken, Krankenhäusern oder anderen Gesundheitseinrichtungen. Für die Zukunft sollte der Bund hier zeitnah das Steuer übernehmen, bevor diese notwendige Neuerung ganz von privaten Unternehmen, wohlmöglich mit Sitz im Ausland, übernommen wird. Denkbar wäre die Entwicklung einer zentralen eHealth-App in Kooperation mit den Krankenkassen, den Ärztekammern, Medizindienstleistern und, ähnlich wie bei der Corona-App, geeigneten deutschen Konzernen.

Für die Anwendungspraxis müssen die folgenden Punkte klar definiert werden:

Sicherheit: Schutz von Patientendaten
Sicherheit: sichere Kommunikation während der Videosprechstunde
Qualitätssicherung: Normierung der technisch möglichen Leistungen
Abrechnung: Kodierung der technisch möglichen Leistungen
Archivierung: korrekte Datenspeicherung (Nachvollziehbarkeit)
Haftung: rechtssichere Definition von Haftungsfragen


Bitte lesen Sie zu diesem Thema auch meine weiteren Beiträge.

 

[1] Automatisierung durch Künstliche Intelligenz
[2] Entgrenzung und Globalisierung

 

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Text: © Hans-Christian Wichert
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